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Jugendzeit in der BRD

Ja, ich gebe es zu. BRD ist ein real existierender DDR-Begriff. Kein Bundesbürger käme auf die Idee, die Bundesrepublik als BRD zu bezeichnen. Aber für eine Überschrift ist „Bundesrepublik“ einfach zu lang. Und eine Alternative will mir nicht einfallen. Außer eben BRD. Aber Sie können mir ja Vorschläge zukommen lassen.

Was aber nichts daran ändert, dass ich nun, fast schon als BRD-Bürger, hier erst mal die Volksschule besuchen musste. Ja, so hieß das damals noch. Und diejenigen, die in Baden-Württemberg nicht nach bestandener Aufnahmeprüfung – auch das gab es damals noch – eine der weiterführenden Bildungsanstalten wie Realschule oder Gymnasium besuchten, bekamen dennoch eine Lehrstelle. Viele meiner Klassenkameraden entschieden sich für diesen Weg und wurde erfolgreiche und respektable Handwerker oder übernahmen den väterlichen Landwirtschaftsbetrieb, zu dem in der Gegend, wo ich aufwuchs, meist auch Weinberge gehörten.

Ich wuchs mitten hinein in die 68er-Bewegung. Ein wenig der Proteste, die sich zunächst vorwiegend in Berlin, später aber auch in anderen Universitätsstädten der Bundesrepublik entluden, griffen auf das heile Ländle über. Allerdings blieb es bei uns, die wir mit 16, 17 Jahren andere Sorgen hatten, nämlich erst mal das Abitur zu schaffen, bei zumeist fruchtlosen Diskussionen mit den Eltern und ergebnislosen mit den Lehrern. Von denen gehörte die Mehrzahl zu der Generation, gegen die sich die Proteste richteten. Also zum Establishment.

Man darf sie allerdings nicht in Bausch und Bogen verdammen. Viele junge Lehrer hatten ja erst kurze Zeit bevor sie ins Berufsleben traten, am eigenen Leib verspürt, welcher Muff sich unter den Universitätstalaren im Lauf der Jahrzehnte angesammelt und gestaut hatte. Sie waren für uns neugierige und aufnahmebereite Schüler ein Fels in einer traditionell-konservativen Brandung, von der wir uns nicht wegspülen lassen wollten von den neuen Gestaden, die sich für uns am Horizont abzeichneten.

Nach dem Abitur rief die Bundeswehr. Die Grundwehrzeit war grade von 18 auf 15 Monate herabgesetzt worden. Ich gebe es zu, ich schwamm gegen den Strom, der seinerzeit anschwoll: der Strom der Wehrdienstverweigerer. Klar, ich war auch gegen den sinnlosen Vietnamkrieg. Ich sympathisierte mit all denjenigen, die in den USA dagegen protestierten, die ihre Einberufungsbescheide verbrannten. Aber ich wollte nicht in einem Krankenhaus arbeiten. Ich wollte wissen, wie geht es in der Bundeswehr zu. Für mich war es eine sportliche wie geistige Herausforderung. Und letztlich erwies sich vieles von dem bei der Bundeswehr erworbenen Wissen als sehr nützlich und hilfreich bei meinem Berufs als Journalist und insbesondere bei der später auf mich zukommenden Aufgabe als Polizeireporter.

Und mit der Aufdeckung des Watergate-Skandals, bei dem die Journalisten der Washington Post, Bob Woodward und Carl Bernstein, schließlich US-Präsident Richard Nixon zu Fall brachten, wuchs mein Wunsch, ebenfalls Journalist zu werden. Schon als Jugendlicher hatte sich die Idee in mir gefestigt, war dann aber in Vergessenehit geraten, weil mein Vater natürlich andere Vorstellungen von meiner beruflichen Entwicklung hatte. „Werd Beamter“, riet er mir. „Da hast du gesicherte Einkünfte.“ Obwohl ich nicht auf ihn hörte und meinen Eltern mit meinen Extravaganzen sicher eine Menge Sorgen und Kummer bereitete, unterstützten sie mich immer. Sie waren da, wenn ich sie brauchte und halfen, wenn es nötig wurde. Dafür bin ich ihnen so unendlich dankbar. Sie waren nicht immer ideale Eltern – zumindest nach meiner Vorstellung als Sohn. Aber sie waren immer gute Eltern. Mehr kann man als Kind einfach nicht fordern.

Mit Journalismus kannte sich mein Vater gar nicht aus und war mir dabei keine Hilfe. Den Weg dorthin musste ich allein finden. Journalistenschulen gab es damals ganz wenig, ein Studium der Journalistik wurde nicht angeboten. Also entschied ich mich für die Alternative „Publizistik“ und bewarb mich an der Freien Universität Berlin (FUB), einer von meiner Erinnerung nach zwei Universitäten in der BRD, die diesen Studiengang anboten. Den Studienplatz erhielt ich, während ich ein sehr bequemes Leben in der Stabskompanie des III. Korps in der Kienlesbergkaserne in Ulm führte.

Die Kaserne existiert längst nicht mehr. Es entstanden Wohnungen in dem Bau und dort, wo einst unser Appellplatz stand, wo entschieden wurde, wer zum Friseur muss und wer nicht, ist heute ein Kinderspielplatz. Das gefällt mir.

Ein Vierteljahr, nachdem ich aus der Bundeswehr entlassen worden war, packte ich zwei große Taschen. Eine mit Wäsche, eine mit Büchern. Dann stieg ich abends um acht in den Zug und stieg am nächsten Morgen um acht am Bahnhof Zoo in Berlin wieder aus.

Es war ein sonniger, aber kühler Frühlingsmorgen. Und das nächste Abenteuer, das 40 Jahre dauern sollte, hatte begonnen.

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