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Kindheit in der DDR

Ich wurde am 6. Juni 1952 geboren. Erst sehr viele Jahre später erfuhr ich, welch ein historisches Datum das ist. Und seit ich das weiß, bin ich stolz, an diesem Tag auf die Welt gekommen zu sein.

Acht Jahre vor meiner Geburt hatte am 6. Juni 1944 mit der Operation „Overlord“ die Invasion der Alliierten in der Normandie, und damit die endgültige Vernichtung eines perversen Deutschen Reiches begonnen, das sich 1000 Jahre an der Macht wähnte und doch nur zwölf Jahre brauchte, um Millionen Menschen der eigenen Bevölkerung zu ermorden und weitere Millionen Männer, Frauen und Kinder in Ländern, die die Hitlersoldaten überfallen und in denen sie nichts zu suchen hatten.

Hunderttausende von Soldaten gaben ihr Leben und ihre Gesundheit, damit dieser Hitlerbrut und seiner Gewaltherrschaft endlich ein Ende gesetzt wurde. Gleichzeitig war es auch der letzte gerechte und gerechtfertigte Krieg, den die USA führten.

An diesem Tag also, wenn auch acht Jahre später, wurde ich in einem kleinen Dorf im sächsischen Vogtland geboren. Damals war das noch die junge DDR.

Ich wuchs in friedlich-ländlicher Umgebung auf, spielte mit Hühnern, Ziegen, Kühen, Pferden, Dorfhunden, Gänsen, Enten. Nicht alle reagierten freundlich auf meine zugegeben manchmal rüde Art, sie zum Spielen aufzufordern.

Aber das war nicht der Grund, weshalb meine Eltern in die Stadt nach Plauen zogen, als ich vier Jahre alt war. Mein Vater hatte zunächst als Lehrer gearbeitet, später Maschinenbau studiert und in einer Hochschule in Zwickau einen Lehrauftrag erhalten. Die Fahrt von dem Dorf nach Zwickau war umständlich; von Plauen aus ging das schneller und bequemer. Denn damals nutzte man noch öffentliche Verkehrsmittel. Private Autos gab es nur wenige.

Außerdem lebten wir auf dem Dorf in einer behelfsmäßigen Unterkunft. Mein Großvater sollte als Großbauer 1953 von den kommunistischen DDR-Schergen enteignet und festgenommen werden. Er konnte mit seinem damals 17 Jahre alten Sohn fliehen, aber die verbliebene Familie musste unverzüglich das Gehöft verlassen. Seine Frau, meine Großmutter, folgte ihrem Mann wenig später, der nach West-Berlin geflohen war. Später siedelten sie in der Nähe von Stuttgart.

Meine Mutter, mein Vater und ich kamen bei Verwandten im Dorf unter. Allen war klar, dass dies nur eine befristete Lösung sein konnte. Nur mir eben nicht, dem damals vier Jahre alten Kind.

In Plauen kam ich 1959 zur Schule und schaffte grade mal zwei Klassen. Schon nach der ersten Klasse waren meine besten Freunde verschwunden. Sie kamen nach den Sommerferien einfach nicht wieder. Ihre Stühle blieben erst noch einige Zeit leer, dann wurden sie von anderen Schülern besetzt. Und keiner sagte mir, warum und wo sie geblieben waren.

In den nächsten Sommerferien im Juli/August 1961 fuhren wir gleich zwei Mal in FDGB-Urlaub: Zum ersten und zum letzten Mal. Mit Koffern bepackt ging es ins nördliche Brandenburg. Dort in Neuglobsow am Stechlinsee verlebten wir einige kalte und verregnete Tage. 14 sollen es gewesen sein. Also zwei Wochen, die wir mit einer Busfahrt zum Bahnhof beendeten. Der Zug brachte uns in Richtung Süden, Plauen entgegen. Aber in Berlin mussten wir umsteigen. Irgendwo in der großen Stadt stiegen wir in die S-Bahn, unterwegs kontrollierte DDR-Polizei die Reisenden, verlangte die Ausweise und war zu mir besonders zuvorkommend.

Denn ich hatte mir noch vor Antritt der Urlaubsfahrt den Arm gebrochen. In die Hand, deren Finger aus dem eingegipsten Arm lugten, drückte mir mein Vater immer dann, wenn ein VoPo kam, die Pässe, die ich ihm dann vorsichtig reichte. Das Mitleid war mir sicher. Und so kamen wir denn auch problemlos bis zum S-Bahnhof Friedrichstraße, stiegen dort „aus Versehen“ in einen Zug der U-Bahnlinie 6 in Richtung Mariendorf im Berliner Süden.

Irgendwo verließen wir die U-Bahn und trafen eine Frau, die sich als Vertraute einer Hausbewohnerin in Plauen herausstellte. Sie hatte uns Flugtickets von Berlin-Tempelhof nach Stuttgart besorgt. Wir hatten der DDR den Rücken gekehrt. Wir waren geflohen. Wie auch schon meine Klassenkameraden ein Jahr zuvor. Jetzt vertrauten es mir meine Eltern an. Sie hatten sogar deren Adresse in Hamburg. Ich schrieb ihnen, aber der Kontakt wurde nie wieder so wie zu der Zeit, als wir Klassenkameraden waren. Ihre Namen sind mir aber auch heute, 60 Jahre später, noch immer präsent.

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